Historie

Die Ursache der Gründung erscheint heute aktueller denn je: wachsende Engpässe auf dem Wohnungsmarkt durch Zuwanderung. Am 31. März 1892 riefen Bürger aus allen Bevölkerungsschichten den Lübecker gemeinnützigen Bauverein als gemeinschaftliche Antwort auf genau diese Herausforderung ins Leben. Damals drängten infolge der Industrialisierung immer mehr Menschen vom Land in die Stadt, um in den neuen Fabriken einen Broterwerb zu finden. Die über 100 Gründungsmitglieder des Bauvereins wollten vorrangig bezahlbaren Wohnraum für Geringverdiener schaffen.

In den vergangenen 125 Jahren kam es in Lübeck durch umfangreichen Zuzug wiederholt sogar zu dramatischer Wohnungsnot, etwa durch Flüchtlinge und Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg oder nach dem Fall der Mauer 1989 durch Menschen, die aus den neuen Bundesländern kamen. Inzwischen sind es bekanntlich vor allem Migranten aus anderen Ländern, die in Lübeck ein neues Zuhause suchen.

Bezahlbarer Wohnraum ist allerdings nur ein dauerhaftes Markenzeichen der Genossenschaft, solides Bauen und aktives Engagement für ein gedeihliches nachbarschaftliches Miteinander sind zwei weitere. Von Beginn an folgte sie dem Credo „Wenn wir bauen, dann richtig“ und setzte früh Maßstäbe für zeitgemäßes Bauen und Wohnen. Mit dem beliebten Volksbrausebad für die Allgemeinheit in der Ludwigstraße im ersten Quartier in St. Lorenz-Nord gab der Bauverein 1902 zudem ein viel beachtetes Signal für mehr Hygiene und Gesundheitsbewusstsein in der Stadt. Und schon damals förderte die Genossenschaft mit moderierenden „Vizewirten“ bewusst das Miteinander von Mietern – denn viele der Neubürger waren es nicht gewohnt, gemeinsam mit mehreren Parteien in mehrgeschossigen Häuser zu leben.

Die zweite Wurzel der Genossenschaft, der am 4. September 1923 gegründete Bauverein „Selbsthilfe“, machte sich unter Führung von Otto Passarge besonders um die Integration von Arbeitern in die städtische Gesellschaft und um die Entwicklung von neuen Siedlungen wie St. Jürgen verdient. Vorbildliche Gemeinschaftseinrichtungen und Ladengeschäfte förderten lebendige Quartiere. Tiefe Einschnitte gab es durch die Nationalsozialisten, die das Führungspersonal absetzten, beide Bauvereine gleichschalteten und schließlich 1940 zwangsfusionierten. Nach Kriegsende widmete sich der Lübecker Bauverein mit gebündelter Kraft und erneut unter Führung Passarges, der zugleich Lübecks Bürgermeister wurde, dem Wiederaufbau: Für Flüchtlinge baute die Genossenschaft neu, die Wohnungen der bisherigen Mieter wurden systematisch modernisiert.

In den letzten Jahrzehnten formulierte der Lübecker Bauverein gemeinsam mit öffentlichen und privaten Partnern passgenaue Antworten auf eine sich zunehmend ausdifferenzierende Gesellschaft. Modellprojekte für Familien, Senioren, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderung und andere soziale Gruppen gehören seither zum Programm. Inzwischen ist die Genossenschaft in Lübeck fast flächendeckend präsent. Sie hat mit der eigenen Expansion viel zur städtischen Entwicklung beigetragen, etwa durch behutsame Sanierung in der Altstadt oder durch die vorbildliche Konversion der Kasernen Waldersee und Cambrai. Seit einigen Jahren fördert der Bauverein durch Nachbarschaftstreffs und viele andere zeitgemäße Maßnahmen erneut aktiv das Miteinander in den Quartieren und, da Genossenschaft stets ein Gemeinschaftsprojekt ist, das ehrenamtliche Engagement von Mitgliedern. Natürlich mit auf der Agenda: die Integration von Neubürgern.